Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, (habt ihr sie noch gekannt? vielleicht ist sie noch und dauert ewig an), da lebte einst ein junges Mädchen, das nannte man die kluge Else. Eher aus Not nannte man sie klug, denn für das, was sie eigentlich war, hatte man noch nicht so viele Wörter. Sie hatte eine rege Fantasie und einen bilderreichen Grusel. Konnte um drei Ecken denken. Das Gras wachsen, den Wind in den Gassen sausen hören. In der Stube von den Eltern der Else, stand ein Klavier, noch von der Oma. So etwas stand bei vielen Eltern in der Stube. Es war meist braun, aus Holz, es hatte manchmal Lüster, Wachsabdrücke, Spuren von Getränken auf dem Deckel. Dies Klavier wurde dann sogar einmal im Jahr gestimmt, wenn die Else besonders fleißig geübt hatte. Was nicht immer der Fall war. Denn die Else wäre gerne fleißig gewesen, aber immer schweiften ihre Gedanken ab. Sie hatte viele Jahre Unterricht bei einer alten Jungfer mit drei fetten Katzen, die auf den Notenstapeln im Souterrain neben dem alten Flügel mit den abgelösten Elfenbeinplättchen sich niedergelassen hatten. Jeden Mittwoch nach der Schule ging die Else zum Unterricht und lernte, wie man den Daumen untersetzt, hinauf die C-Dur Leiter, und übersetzt, hinab, hinab die D-Dur Leiter. Es war nicht so, dass die Else nicht verstand, wie man die Tasten drücken sollte. Allein, nur weiße Taste leuchteten ihr ein, zum Spiele noch hinzu zwei schwarze Tasten, manchmal drei und manchmal nicht: Das war selbst der klugen Else zu hoch. 

Doch tagaus, tagein übte die Else ihre Leitern. Eine halbe Stunde nach dem Mittagsschlaf der Mutter, die vom Kochen ruhen musste, konnte sie beginnen und fertig musste sie sein, bevor der Vater nach Hause kam. „So, hast du brav geübt?“, fragte sie der Vater und die Else nickte. Dann lächelte der Vater, tätschelte sie sanft am Kopf, und ließ sie am Klavier zurück. Wenn abends niemand grad zu Hause war – der Vater fort, die Mutter ausgegangen, und es schon dunkel draußen war, dann hatte Else ihre schönsten Stunden. Dann waren alle Leitern fort, die mit und ohne Kreuze, Bs und allem was sich aufgelöst und wieder eingeschaltet. Dann spielte Else nur für sich. Das Stück in dem sie in den Keller steigt. Den dunklen, den verbotenen Keller. Der hinter den drei Ecken liegt, um den die Winde heulen, dort wo die Angst vergraben liegt. Denn mit der Angst, die in Musik gekleidet ist, da kann die Else tanzen. Das Kind wird groß. Das Geld für viele Stunden hatte sich gelohnt. Man hatte ihr was mitgegeben für ihr späteres Leben. Das konnte sie dann andern zeigen und auch ihre Tochter sollte dann in Zukunft noch mehr üben und die Musik von Elses Oma weiterleben lassen. Doch wenn nur jemand käme, der die Else haben wollte!

Der Hans: der will! Er ist beeindruckt, dass die Else um drei Ecken denken kann. Das kann er nicht, der Hans. Und als sie dann verheiratet sind, zieht das Klavier der Oma mit ins neue Heim. Die Else übt noch immer an dem Daumenuntersatz und wird schon virtuoser. Gesetzt, man hätte Geld gehabt, so hätte man den einen oder andern Ton des Instruments in Ordnung bringen können. Doch Geld ist Geld, gewöhnt hat man sich auch inzwischen ans Klavier, Jahr ein, Jahr aus. Vorm Keller hat sie Angst, den kennt sie gut. Den spielt sie gerne abends, wenn‘s dunkel wird. Und ihre Tochter wächst heran im Klang der Leitern und des Kellers. Denn auch die Tochter wird mal eine Tochter haben, und das Klavier der Oma wird auch diesmal wieder von zwei starken Männern hochgehoben und hinaus ins neue Heim gebracht werden, hinunter all die Treppenstufen, Schritt um Tritt.

Und vielleicht kommt irgendwann der Tag, da rutscht das Ding dem einen aus der Hand und schlittert all die Stufen ganz von selbst hinunter, bis hinunter in den Keller. Liegt in tausend Splittern, abgerissenen Saiten, Zargen, Sägespänen, zerlegt bis aufs Atom, und gibt der Else Frieden. Doch ist’s noch nicht so weit. Was bleibt ist Klang im Wind des Wahns. Ein Klang der wirbelnd auf der Stelle steht, hoch oben, wo die Luft dünn, und der Geist frei ist.                                                   (Florian Wetter)

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