„Eine triviale Komödie für ernsthafte Leute“, untertitelt Oscar Wilde seine letzte und subversivste Komödie „Bunbury“. Wie immer mischen sich maßlose Unter- und Übertreibung, und ja, eine eigentlich absurde Aussage, zwischen die doch tiefere Wahrheit der Sentenz. Doch dazu später mehr. Widersprüche waren jedenfalls Oscar Wildes Sache von Anbeginn: Ein Dandy des Schönen war er und bekennender Sozialist. Katholik und praktizierender Homosexueller. Er hielt in Amerika Vorträge über Mode und Stilbewusstsein und betätigte sich kurze Zeit später als Sextourist in Algerien mit einer Vorliebe für sehr junge Kameltreiber. Er war der Liebling der Londoner Gesellschaft, Starautor von Komödien, aber auch Verfasser des symbolistischen Dramas „Salome“. Sein eigentliches Meisterwerk ist unbestritten der Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, für das ihm zurecht der Platz im literarischen Olymp für alle Zeiten sicher sein dürfte. Am Ende seines Lebens kam dann der tiefe Fall: Eine Verleumdungsklage wegen „Sodomie“. Daraus folgend der gesellschaftliche Ehrverlust, Zwangsarbeit und Gefängnisstrafe. Mit nur 46 Jahren stirbt Wilde einsam im Pariser Exil. Ein Leben auf der Überholspur also. Doch Wilde war eben auch ein genialer Künstler, dessen Name lange nur unter vorgehaltener Hand genannt werden durfte.
Heutzutage gilt der irische Dichter als Vorbild, ja Vordenker einer „queeren“ Lebenshaltung, die in seinem Fall bemerkenswerterweise aber auch durchaus kritisch mit der eigenen Biografie ins Gericht geht. So zeigt Wilde eben auch die Schattenseiten einer bestimmten Ausprägung „queeren“ Lebens in seinen Märchen und besonders in seinem „Dorian Gray“. „Bunt“ ist das Prädikat, das wir allem „Queeren“ heutzutage anheften. „Bunt“ natürlich immer im Gegensatz zu „Braun“, dem pauschal formulierten Gespenst der totalen und normierten Einheitsgesellschaft. Bunt und schillernd ist Dorian Grays Leben allemal. Seine Exzesse um seiner Schönheit und Extravaganz Willen durchaus faszinierend. Doch Wilde formuliert daneben auch Dorians narzisstischen und selbstverliebten Charakter. Wilde ist also wie Judith Butler auch als kritischer Vordenker der „queeren“ Bewegung zu betrachten.
Doch nun zurück zu „Bunbury“, das auf den ersten Blick viel weniger radikal erscheint als „Dorian Gray“. Doch gerade diese harmlos anmutende Komödie birgt erstaunliche Gedanken zum Thema Selbstoptimierung, Selbstvermarktung und überzogenes Anspruchsdenken an unsere Partner und Partnerinnen. Einen Mann namens „Ernst“ wollen die Damen des Stückes heiraten. Wer genau dieser Ernst ist - völlig gleichgültig. Es geht nur um den Namen selbst, das Attribut also. Doch warum Ernst? Die doppeldeutige englische Bedeutung des Wortes „earnest“ gibt vielleicht Aufschluss über diese absurd erscheinende Ausgangslage der Wildschen Komödie. „Aufrichtig“, heißt es. Also einen aufrichtigen, einen authentischen Mann suchen all diese so überhaupt nicht authentischen Damen. Die an sich prüde Gwendolen setzt erotische Verführung nur dazu ein, sich ihren Ernst als Ehemann zu angeln. Das Landei Cecily dagegen schwelgt in romantischen Tagträumen von einem Romeo – Ernst natürlich, wird sich aber schwertun ihre Vorstellungen von einem perfekten Mann mit der Imperfektion der Wirklichkeit abzugleichen. Und natürlich geht es massiv um Geschlechterrollen, um normiertes Geschlechterdenken des klischeehaft „Männlichen“ und „Weiblichen“. Doch Wilde wäre nicht Wilde, würde er nicht auch genug „queere“ Anspielungen einbringen in seiner Kritik an der viktorianische Gesellschaft – bei unserer Inszenierung als Äquivalent die 50er und frühen 60er-Jahre. Die Männer des Stücks führen alle ein Doppelleben. Und ist nicht das eigentliche Liebespaar dieser Ehekomödie Jack und Algernon? In früheren Zeiten wurde diese gleichgeschlechtliche „Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt“ – ein Zitat aus einem Gedicht von Wildes Lebensgefährten Lord Douglas, zumeist auf den sogenannten „Klappen“ der Herrentoilette am Bahnhof ausgelebt.